Ich wurde verspottet - Christoph Daum im Interview 11FREUNDE

Publish date: 2024-10-24

Chris­toph Daum, wir freuen uns, dass Sie den Bun­des­liga-Alltag fortan wieder als Trainer und als Per­sön­lich­keit berei­chern. Ist auch für Sie die Rück­kehr in die 1. Liga ein Ereignis?

Nein. Ich habe in den letzten Jahren im Aus­land durch­gängig auf höchstem Niveau gear­beitet. In der Cham­pions League habe ich mit Fener­bahçe sogar gegen Schalke 04 gespielt. Ich habe die Liga also nie aus den Augen ver­loren.

Zuletzt haben Sie jedoch 18 Monate in der 2. Liga ver­bracht – da freut man sich doch aufs Ober­haus.

Keine Frage, aber die Atmo­sphäre in der 2. Liga unter­scheidet sich in vielen Sta­dien doch gar nicht mehr groß­artig von der Bun­des­liga.

Die Rück­kehr in die Eli­te­klasse des deut­schen Fuß­balls hat also keinen beson­deren Sym­bol­cha­rakter für Sie?

Wieso sollte sie das? Ich bin doch nie weg gewesen.

Immerhin haben Sie nach 2000 sechs­ein­halb Jahre in Öster­reich und der Türkei gewirkt.

Aber ich war immer prä­sent. Ich war für Pre­miere tätig, habe die Cham­pions League und die Bun­des­liga kom­men­tiert. Und als ich in der Türkei war, sind die deut­schen Jour­na­listen nach Istanbul gekommen.

Was hat sich in der Bun­des­liga in Ihrer Zeit im Aus­land ver­än­dert?

Die Fan­kultur hat sich unge­mein gewan­delt. Diese ständig zuneh­mende Begeis­te­rung wirkt sich überaus positiv auf den Fuß­ball aus. Hier beim FC haben wir soeben das 40 000. Mit­glied begrüßt. Jeden Tag holen wir neue Kunden rein.

[intext]Auch als Trainer spricht man bei Fans also inzwi­schen von Kunden?

Das ist nun mal die Rea­lität. Ein Fuß­ball­verein muss sich wie jedes Wirt­schafts­un­ter­nehmen an seinen Kunden ori­en­tieren. Auch wir planen, über das Internet und über E‑Commerce neue Märkte zu erschließen und neue Spon­soren zu gewinnen – so wie jedes erfolg­reiche mit­tel­stän­di­sche Unter­nehmen dies heut­zu­tage tut.

Haben Sie in Ihrer Zeit im Aus­land auch Defi­zite aus­ma­chen können, die die Bun­des­liga im Ver­gleich zu anderen Ligen besitzt?

Die Bun­des­liga hat in der Breite durch die strengen Lizenz­auf­lagen gegen­über Öster­reich und der Türkei sicher­lich Vor­teile, was die Infra­struktur anbe­trifft. Aller­dings ver­fügen die Spit­zen­ver­eine in der Türkei über Trai­nings­mög­lich­keiten und medi­zi­ni­sche Abtei­lungen, die welt­klasse sind. Mit Fener­bahçe und Bes­iktas kann in der Bun­des­liga, wenn über­haupt, das Trai­nings­ge­lände an der Säbener Straße mit­halten.

Wenn es um die Beschwer­lich­keiten bei der Arbeit eines FC-Trai­ners geht, wird in erster Linie das beson­dere Umfeld aus köl­schem Klüngel und Bou­le­vard­me­dien genannt.

Ach was, in der Türkei habe ich mit drei Mal mehr Jour­na­listen zu tun gehabt, als hier in Köln.

Das Umfeld in Köln ist so gesehen fast Ent­span­nung für Sie?

Das ergibt sich auch aus der Bedeu­tung des Fuß­balls in der Türkei. Hier ist Fuß­ball sprich­wört­lich die schönste Neben­sache der Welt. In der Türkei ist er Teil der Men­schen, Teil des Lebens. Spielt sein Verein schlecht, dann ist der tür­ki­sche Fan »hasta«, also »tod­krank«. Es ist dort viel extremer, viel emo­tio­naler, viel tiefer.

Wohl auch fana­ti­scher, zumin­dest wenn man Trainer Jörg Berger glaubt. Er behauptet, 2000 bei seiner Ent­las­sung vom Klub-Prä­si­denten von Burs­aspor mit einer Waffe bedroht worden zu sein. Haben Sie auch mal etwas Ähn­li­ches erlebt?

Solche Aus­sagen halte ich für Scherz­ar­tikel. Ich kenne Bursa sehr gut. Das ist ein Welt­klub und dar­über hinaus eine der schönsten Städte, die wir in Europa haben. In der Türkei ver­fügen nun mal viele Leute, die ein hohes Amt bekleiden, über eine Schuss­waffe. Und so eine Waffe will man natür­lich nicht andau­ernd in einem Halfter mit sich her­um­tragen. Es kann also sein, dass jemand seine Waffe in einem Gespräch mal ablegt. Jörgs Inter­pre­ta­tion halte ich des­halb für ziem­lich aben­teu­er­lich.

Mit anderen Worten: Sie haben noch nie von der­ar­tigen Vor­fällen gehört?

Noch nie, außer in dieser Legende vom Jörg. Ich habe ihm auch gesagt, er soll vor­sichtig mit sol­chen Aus­sagen sein. Denn sie sind nicht reprä­sen­tativ für die Türkei. Ich hatte Trai­ner­kol­legen, die dort auch in schwie­rigen Situa­tionen waren und Ver­eine ver­lassen mussten. Bei keinem hat jemals eine Knarre eine Rolle gespielt. Zudem kenne ich viele Türken, die die Berech­ti­gung haben, eine Waffe zu tragen. Ich war mit Leuten im Auto unter­wegs, mache das Hand­schuh­fach auf und es liegt eine Schuss­waffe darin. Aber die hatten alle eine Erlaubnis dafür.

Sie genießen in der Türkei enormes Ansehen, haben dort meh­rere Stif­tungen gegründet und sich für die Erd­be­ben­opfer enga­giert. Stand es irgend­wann zur Dis­po­si­tion, für immer dort zu bleiben?

Nein, nie. Ich weiß, wo ich her komme: Ich komme aus Deutsch­land. Obwohl man mir die tür­ki­sche Staats­bür­ger­schaft ange­boten hat und ich es als große Ehre emp­finde, dass ich die Mög­lich­keit habe, zur deutsch-tür­ki­schen Ver­stän­di­gung bei­zu­tragen. Denn die Türkei ist für uns ein wich­tiger Sicher­heits­faktor, ein Brü­cken­kopf in die gesamte isla­mi­sche Welt hinein. Denen müssen wir die Hand rei­chen. Wir müssen mit Tole­ranz und Inte­gra­tion auf die Türken zugehen – und nicht mit For­de­rungen oder Aus­gren­zungs­theo­rien arbeiten.

Würden Sie einen EU-Bei­tritt der Türkei befür­worten?

Ich bin dafür, alles vor­an­zu­treiben, was als Signal für die Türkei zu werten ist, dass sie zu uns gehören. Aber ich nenne kein kon­kretes Datum. Wenn wir dieses Signal geben, ist es nicht die Frage, ob es 2017, 2020 oder 2025 wird.

Zurück zur Aus­gangs­frage: Wir wollten wissen, wie wichtig es für Sie war, als Trainer nach Deutsch­land zurück zu kehren?

Ich hatte auch Ange­bote aus anderen Län­dern. Aber aus emo­tio­nalen Gründen bin ich das Risiko 2. Liga ein­ge­gangen und habe beim 1. FC Köln zuge­sagt. Und es war ein großes Risiko.

Die alte Ver­bin­dung zum FC.

Das Herz­blut hat den Aus­schlag gegeben. Das hat nichts mit sach­li­chen und prak­ti­schen Dingen zu tun. Da spricht ein­fach das Herz. Es ist so, als ob man ver­liebt ist.

Für uns also Außen­ste­hende ist es schwer zu beur­teilen, denn sowohl die Ent­schei­dung für den FC im November 2006, als auch Ihr Ent­schluss, den Klub nun in die Bun­des­liga zu begleiten, schien Ihnen jeweils sehr schwer zu fallen.

Ich habe zu jeder Zeit klare Aus­sagen getroffen und mich stets klar geäu­ßert. Was die Medien daraus machen, ist nicht meine Sache.

Sie haben öfter bemän­gelt, dass die finan­zi­ellen Mög­lich­keiten in Köln für Top-Spieler nicht ideal sind. Sind Sie mit dem jet­zigen Kader zufrieden – oder muss noch was pas­sieren?

Auch Man­chester United und Real Madrid wollen noch Spieler ver­pflichten, ich bin also keine Aus­nahme, wenn ich ver­suche, die Qua­lität meiner Mann­schaft auch wei­terhin zu ver­bes­sern. Natür­lich bin ich der Über­zeu­gung, dass sich die Spieler, die wir haben, ver­bes­sern werden. Trotzdem wün­sche ich mir dar­über hinaus auch noch Ver­stär­kungen durch Trans­fers. Aber ich bin mit dem, was wir unter unseren wirt­schaft­li­chen Rah­men­be­din­gungen bisher erreicht haben, hoch zufrieden.

Mit dem Por­tu­giesen Petit haben Sie jetzt auch einen abso­luten Top-Star ver­pflichtet.

Für diesen Transfer hat Michael Meier eine Aus­zeich­nung ver­dient. An Petit waren einige euro­päi­sche Klubs inter­es­siert. Auch rus­si­sche, und die haben bekannt­lich andere finan­zi­elle Mög­lich­keiten. Trotzdem haben wir uns durch­ge­setzt. Petit bringt end­lich das Flair eines Star­spie­lers bei uns ein.

Wie viele Trans­fers sind daran geschei­tert, dass der 1. FC Köln bis­lang in der 2. Liga spielte?

(Lacht.) So einige. Etliche Spieler, die durchaus inter­es­siert waren, haben mir gesagt: »Coach, you can call again when you are first league«.

Das sind Sie jetzt. Dann beschreiben Sie doch mal, was Sie mit dem Stamm an Spie­lern, in den kom­menden Jahren hier errei­chen wollen.

Wenn ich Ihnen jetzt einen Plan auf­stelle, an dessen Ende in drei oder vier Jahren der UEFA-Cup steht, wird wieder zitiert: »Daum spricht schon vom UEFA-Cup«. So nach dem Motto: Kann in der Bun­des­liga noch nicht wieder richtig laufen, spricht aber schon vom Springen. Aus diesem Grund führen wir Pla­nungen nur im internen Zirkel durch. Aber natür­lich wollen wir eine Erfolgs­story, denn wir wollen neue Kunden gewinnen, neue Märkte erschließen und neue Spon­soren an diesen Verein binden.

Das wollten in der Ver­gan­gen­heit viele Ihrer Vor­gänger. Haben Sie ver­sucht zu ergründen, warum der FC in den letzten zehn Jahren viermal abge­stiegen ist?

Über­haupt nicht.

Wie kann man ver­hin­dern, dass das wieder pas­siert?

Indem wir inves­tiert haben und aus der Ver­gan­gen­heit unsere Lehren ziehen: Wir haben mit den Ver­ant­wort­li­chen und den Spie­lern – denn wir hatten auch in der ver­gan­genen Spiel­zeit einige Pro­bleme gemeinsam zu lösen – intern dis­ku­tiert. Aus dieser Aus­ein­an­der­set­zung mit­ein­ander sind wir gestärkt hervor gegangen. Und jetzt gibt es hier eine unglaub­liche Auf­bruch­stim­mung in der Stadt und im Verein, deren Schwung wir nutzen wollen.

Wie kann man der Öffent­lich­keit signa­li­sieren, dass der neue FC keine Fahr­stuhl­mann­schaft mehr ist?

Das geht nur über Ergeb­nisse. Durch­hal­te­pa­rolen haben alle oft genug gehört. Wichtig ist, den FC wieder in der 1. Liga zu eta­blieren. Wir haben unsere Haus­auf­gaben, was die Per­so­nal­pla­nung bezüg­lich Kader, Scou­ting, medi­zi­ni­sche Abtei­lung und Mann­schafts­be­treuung angeht, gemacht. Nun will ich alle mit­reißen, denn auf­grund meiner 20-jäh­rigen Erfah­rung in diesem Geschäft glaube ich, diesem Verein wirk­lich helfen zu können.

Die Kölner messen Ihnen fast die Bedeu­tung eines Hei­ligen bei. Bei Ihrer ersten Trai­nings­ein­heit im November 2006 begrüßten Sie 10 000 Fans im Sta­dion.

An einem Mon­tag­nach­mittag – gigan­tisch. Da hieß es natür­lich auch wieder: Daum insze­niert sich. Dabei war es das genaue Gegen­teil: Die Polizei machte uns in einem Gespräch deut­lich, dass in unserem Stadt­teil in Sülz alles zusammen bre­chen würde, wenn das erste Trai­ning unter meiner Lei­tung am Geiß­bock­heim statt­finden würde. Es war also ein Wunsch der Polizei, ins Sta­dion zu gehen. Die Frage, die ich mir dann stellte war: »Was macht man, wenn so viele Men­schen zu einer Trai­nings­ein­heit kommen?« Also habe ich die Trai­nings­ein­heit sausen lassen und ver­sucht, so weit es mir mög­lich war, jeden ein­zelnen zu begrüßen.

Es muss ein unglaub­li­cher Druck sein, der sich in einem Men­schen auf­baut, wenn ihm so viel Zunei­gung ent­ge­gen­ge­bracht wird.

Hin­terher konnte ich erstmal gar nicht schlafen. Ich kam nach Hause und sagte zu meiner Frau: »Das kann kein Mensch erfüllen, was die hier von mir erwarten.« Ich saß Zuhause und dachte: »Das bist du nicht, du bist kein Heils­bringer, son­dern ein Arbeiter.« Mir haben Leute ihre Kinder hin­ge­halten, so als ob ich die segnen sollte. Eine Kult­si­tua­tion, die mich sehr nach­denk­lich und betroffen gemacht hat.

Und prompt ging das erste Spiel gegen den Auf­stiegs­kon­kur­renten MSV Duis­burg ver­loren.

Vieles hat über­haupt nicht gestimmt. Ich kannte die 2. Liga nicht und hatte sehr hohe Ansprüche. Ich muss zugeben, dass ich mich auch sehr schwer getan habe, von diesen Ansprü­chen runter zu kommen. Ich distan­zierte mich von der Mann­schaft, weil es genau genommen auch nicht meine Mann­schaft war. Der Nicht­auf­stieg im ersten Jahr war eigent­lich vor­pro­gram­miert.

Und das haben Sie erst gemerkt, als Sie schon da waren?

Ja. Ich dachte, es geht alles leichter. In dieser Zeit habe ich auch Fehler gemacht, indem ich den großen Druck weiter gegeben habe. Aber die Mann­schaft war nicht wider­stands­fähig genug, um den Druck abzu­fe­dern. Erst im zweiten Zweit­liga-Jahr habe ich mich von meinen Ansprü­chen eine gewisse Zeit ver­ab­schiedet und ange­fangen, mit einem gewissen Rea­li­täts­sinn zu arbeiten.

Rea­li­täts­sinn?

Ich habe erkannt, wozu der Ein­zelne in der Lage ist. Einmal sprach ich zum Bei­spiel mit den Spie­lern über bestimmte Trai­nings­in­halte. Die haben mich natür­lich nicht kri­ti­sieren wollen und nur gesagt: »Trainer, was Sie machen, ist schon sehr anspruchs­voll«. In dem Moment wusste ich, wo der Hase lang läuft.

Bei wel­chen Gele­gen­heiten war das?

Bei tak­ti­schen Übungs­formen, die mit vielen so genannten zwin­genden metho­di­schen Mit­teln ver­sehen sind. Bei diesen Übungen müssen sich die Spieler nicht nur auf die Ball­technik und gewisse Kom­bi­na­tionen kon­zen­trieren, son­dern auch auf fest­ge­legte Zonen. Dabei werden Auto­ma­tismen ein­stu­diert. Man muss passen und gleich­zeitig den Raum sehen. In diese Trai­nings­phi­lo­so­phie müssen viele erst hinein wachsen. In der Anfangs­zeit habe ich einige damit über­for­dert.

Wie sehr erschwert es die Arbeit dann noch, wenn Sie es mit Spie­lern aus 15 ver­schie­denen Nationen zu tun haben?

Über­haupt nicht. Schon im Stu­dium hatte ich sehr viele Kom­mi­li­tonen aus anderen Län­dern. Ich habe im Aus­land gear­beitet und in Lever­kusen hatten wir zwi­schen­zeit­lich 17 ver­schie­dene Natio­na­li­täten im Team und haben den schönsten Fuß­ball gespielt, den es in Deutsch­land gab. Köln steht für eine mul­ti­kul­tu­relle Ein­stel­lung und diese Beson­der­heit der Stadt setzen wir fort. Im Übrigen, auf die Inte­gra­tion der unter­schied­li­chen Nationen bin ich auch ein Stück­weit stolz.

Besteht nicht ver­stärkt die Gefahr von Grüpp­chen­bil­dung im Team?

Ich habe selbst in rein deut­schen Mann­schaften gespielt. Und wissen Sie, was es da sehr häufig gab – Grüpp­chen­bil­dung. (lacht.)

Welche Pro­bleme bereiten Ihnen die sprach­li­chen Bar­rieren?

Der­zeit ver­stehen nur Pedro Geromel, Faryd Mond­ragon und Petit kein Deutsch. Alle anderen spre­chen und ver­stehen deutsch.

Von sol­chen Bedin­gungen können andere Klubs nur träumen.

Wir haben in Zusam­men­ar­beit mit der Uni­ver­sität ein Inte­gra­ti­ons­mo­dell ent­worfen und ver­su­chen auch wis­sen­schaft­lich, neue Spieler zu inte­grieren. Das geht über Sprach­kurse weit hinaus. Da gehen wir ganz neue Wege. Denn man kann nicht nur Spieler aus dem Aus­land holen, ihnen viel Geld bezahlen, und dann erwarten, dass die Leis­tung des Spie­lers ein Selbst­läufer wird. Wenn man Aus­länder holt, muss man auch das dazu­ge­hö­rige Inte­gra­ti­ons­mo­dell umsetzen. Das erar­beiten wir gerade. Und es wird Vor­bild­funk­tion für die ganze Liga haben. Wie bei vielen Dingen, die ich in der Bun­des­liga initi­iert habe.

Jürgen Klopp sagte im Inter­view mit 11FREUNDE, ein Trainer sei in erster Linie dazu da, Spieler immer wieder an Dinge zu erin­nern, die sie eigent­lich schon wüssten.

Auch ich sehe mich als Helfer, damit Spieler ihr Leis­tungs­po­ten­zial abrufen und in Grenz­be­reiche kommen, um sich zu ver­bes­sern.

Sind Sie immer noch der Mann, der für die Moti­va­tion zuständig ist, oder haben Sie inzwi­schen die ent­spre­chenden Experten dafür?

Sowas kann man nicht wei­ter­geben. Die Kom­mu­ni­ka­tion – ich mag das Wort Moti­va­tion nicht so gerne, denn in letzter Kon­se­quenz geht es hier um Kom­mu­ni­ka­tion – bleibt stets die Haupt­auf­gabe eines Coa­ches. Für Kon­di­tion, Kraft und Spiel und Bewe­gungs­ab­läufe kann man Experten rein­holen. Aber der Chef-Trainer führt die Men­schen und akti­viert durch seine Art der Füh­rung deren Res­sourcen.

Wie sehr zehrt so ein Moti­vator-Job über die Jahre an den Kräften? Schließ­lich müssen Sie Ihren Spie­lern die volle Ein­satz­be­reit­schaft ständig vor­leben.

Ich gehe auf die 60 zu und alle sagen, dass ich immer jünger aus­sehe. (lacht.) Zumin­dest was die opti­sche Rück­mel­dung anbe­trifft, habe ich also nicht den Ein­druck, dass irgend­etwas an mir zehrt. Und ich spüre nach wie vor diese Neu­gier in mir, zu sehen, wie sich ein Spieler ent­wi­ckelt. Das treibt mich voran. Meine Auf­gabe ist es, Spieler so zu begleiten, dass sie nicht nur im Fuß­ball son­dern auch im Leben ihre Meis­ter­schaft feiern. Das ist die Fas­zi­nia­tion, durch die mich mein Job jung hält.

Aber jeder Mensch altert und braucht mehr Ruhe­phasen. Sie doch auch.

Aber es kommt doch so viel zurück. Ich bin eine lebende Fuß­ball­bi­blio­thek und habe eine Erfah­rung, die viele teilen wollen. Zuletzt hatten wir zwei Trainer aus China hier, die waren so wiss­be­gierig, dass sie sogar fragten, welche Schnür­senkel oder wel­ches Mas­sa­geöl wir bei der Trai­nings­ar­beit benutzen. Alle zwei Jahre gehe ich auf Sich­tungs­reise nach Süd­ame­rika, besuche von Rosario bis Estu­di­antes viele der großen Ver­eine und beob­achte das Trai­ning. Was meinen Sie, was man dort alles mit­kriegt: Zum Bei­spiel, dass es ein Irr­glaube ist, nur vom Talent der Süd­ame­ri­kaner zu schwärmen. Die Süd­ame­ri­kaner sind nicht nur hoch talen­tiert, son­dern auch hoch tech­ni­siert. In der Trai­nings­lehre sind sie auf dem aller­neusten Stand. Das inspi­riert mich auch für meine Ein­flüsse auf den deut­schen Fuß­ball. Und ich kann Ihnen ver­spre­chen, dass in abseh­barer Zeit viele auch wieder nach Köln schauen werden, wenn es um neue Trends in Sachen Fuß­ball geht.

Klingt, als könnten wir Jour­na­listen uns wieder auf spek­ta­ku­läre Psycho-Spiel­chen freuen, wie etwa den Gang über die Glas­scherben, den Sie vor Jahren bei Bayer Lever­kusen prak­ti­ziert haben.

(stutzt.) Wel­chen Sinn hat diese Aktion aus Ihrer Sicht gemacht?

Wenn wir es richtig ver­standen haben, ging es darum, den Spie­lern anhand einer Übung zu zeigen, dass der Wille Berge ver­setzen kann. Sprich: Ein Mensch kann ohne Ver­let­zungen über zer­bro­chenes Glas laufen – wenn er es wirk­lich will.

Sie haben den Sinn zu 50 Pro­zent ver­standen – deut­lich besser als viele Ihrer Kol­legen. Aber den Schlüssel des Ganzen haben sie nicht kapiert.

Dann klären Sie uns bitte auf.

Ich bin der Ansicht, dass ein guter Trainer nicht nur den Körper zu voller Leis­tungs­fä­hig­keit bringt, son­dern auch den Denk­ap­parat der Spieler akti­viert. Ich habe schon früh über Audio­sug­ges­tion und auto­genes Trai­ning mit den Spie­lern gespro­chen. Aber ich war mit den Ergeb­nissen oft nicht zufrieden. Ich kün­digte also an: »Leute, heute laufen wir über Glas­scherben«. Alle haben pro­tes­tiert, keiner war dazu bereit. Genau das wollte ich hören. Dann habe ich ein spe­zi­elles Mental-Pro­gramm durch­ge­führt, an dessen Ende alle, die meinen Worten sprach­lich folgen konnten, über das Glas gegangen sind. Ich weiß noch, wie Ulf Kirsten sagte: Trainer, das ist wie Butter“. Ein anderer ist sogar vom Stuhl in die Scherben gehüpft. Der Tat­sache, dass sie es anfangs nicht für mög­lich gehalten hatten und es dann doch taten, hatte einen Wahn­sinns­ef­fekt: Viele Spieler haben anschlie­ßend ange­fangen, auto­genes Trai­ning zu machen, Bücher über mensch­li­ches Ver­halten zu lesen, sich damit aus­ein­an­der­zu­setzen, wie man es kurz­fristig schafft, sich wieder in den best­mög­li­chen Zustand zu ver­setzen. Jens Nowotny, Carsten Ramelow oder Ulf Kirsten – viele haben sich danach so intensiv mit ihrem Denk­ap­parat aus­ein­ander gesetzt, dass sie Welt­klasse geworden sind und Bayer Lever­kusen mit ihnen seine erfolg­reichste Zeit erlebte. 

Hatten Sie jemals Zweifel daran, dass Ihre Formen der Moti­va­tion von den Spie­lern ange­nommen werden?

Nein, dieses Pro­blem hatte nur die Öffent­lich­keit und das Umfeld. Zuerst wurde ich wegen meiner Kom­mu­ni­ka­ti­ons­formen belä­chelt, dann ver­spottet, schließ­lich wurde ich bekämpft, indem man mich dar­stellte, als sei ich völlig weg­ge­treten. Und hin­terher haben alle nach­ge­zogen und meine Ideen in ihre Trai­nings­ar­beit ein­ge­baut.

Das Schicksal eines Pio­niers.

Denn das Neue stellt für viele Leute, die auf den kon­ven­tio­nellen Weg setzen, eine Bedro­hung dar. Ich war von meinen Methoden stets über­zeugt und habe mich nie an der Mehr­heit ori­en­tiert.

Sind Sie durch diese Anfein­dungen zu einem Außen­seiter im Fuß­ball­ge­schäft geworden?

Wieso sollte ich, schließ­lich sind meine Ideen heute weit­ge­hend fester Bestand­teil der modernen Trai­nings­lehre. Mit dem Rest muss man als Pio­nier leben.

In der Rolle des Ein­zel­kämp­fers sehen Sie sich aber ganz gerne.

Darum geht es doch gar nicht. Lesen Sie mal von Daniel Goeu­de­vert das Buch »Mit Träumen beginnt die Rea­lität«. Sen­sa­tio­nell. Es beweist: Wenn man auf­hört zu träumen, exis­tiert man zwar noch, aber man lebt nicht mehr. Nach diesem Prinzip ver­suche auch ich mein Leben zu führen. Ich finde das Leben viel zu span­nend, um daran zu ver­zwei­feln. Und im Fuß­ball sehe ich, was die Hand­lungs­schnel­lig­keit oder die Kon­zen­tra­tion anbe­trifft, noch viele Dinge, die sich opti­mieren ließen.

Letzt­lich ver­stehen Sie sich also als För­derer des Fuß­balls an sich.

Natür­lich bin ich mit Haut und Haaren in Köln, aber sie haben nicht ganz Unrecht. Wir haben die Auf­gabe, den 1. FC Köln in diesem Jahr in der 1. Liga zu halten. Aber ent­schei­dend ist, wie sich der FC in der Gesamt­ent­wick­lung des Fuß­balls plat­ziert und ob wir hier schon früh­zeitig Trends setzen, die ihn lang­fristig kon­kur­renz­fähig machen

Aber wider­spre­chen die Gesetze des Erfolgs nicht diesem Prinzip der Lang­fris­tig­keit? Allzu oft ent­scheidet schließ­lich die Tages­form über die Zukunft eines Trai­ners?

Davon muss man sich lösen. Allein, um hier »SportsLab« (ein spe­ziell von Daum für die Trai­nings­ar­beit initi­ierte Com­pu­ter­tech­no­logie mit Video­ana­lysen, Daten­banken und Sta­tis­tiken, d.Red.) auf­zu­bauen, hat allein ein Jahr gedauert.

Wie lang­fristig sehen Sie dann Ihr Enga­ge­ment in Köln? Ihr Ver­trag läuft zwar bis 2010, beinhaltet jedoch eine Aus­stiegs­klausel.

Diese Ver­trags­si­tua­tion besteht seit ich hier unter­schrieben habe. Aber ich bin seit dem Moment der Unter­schrift hier – und bin es immer noch. Wir haben immer auf der Grund­lage dieses Ver­trages ver­trau­ens­voll zusammen gear­beitet. Mit anderen Worten: Ich brauche keinen Ver­trag. Wir können den Kon­trakt gerne wegtun. Ich kann ohne arbeiten.

Sie könnten sich also auch vor­stellen, als Coach des FC alt zu werden?

Natür­lich. Aber als Trainer bin ich in ein Team ein­ge­bunden. Da muss vieles stimmen, um einen lang­fris­tigen Zustand zu errei­chen. Daran arbeiten wir und ich kann mir durchaus vor­stellen, dass Köln meine letzte Arbeits­stelle ist. Aber dar­über mache ich mir nicht so viele Gedanken. Ehr­lich gesagt will ich gar nicht genau wissen, was in zwei Jahren ist. Ich habe zwar Vor­stel­lungen, aber ich lasse auch Dinge zu. Das habe ich übri­gens durch die Zeit hier in Köln gelernt.

Was meinen Sie jetzt kon­kret?

Dass es gut für meine Gesund­heit ist, auch mal los­zu­lassen.

Und wie lassen Sie los?

Wie gesagt, indem ich mich hier vor­über­ge­hend von meinen extrem hohen Ansprü­chen ver­ab­schiedet habe. Es ist wichtig, ab und zu die Schlag­zahl raus zu nehmen und zu ent­spannen. Man kann Men­schen damit näm­lich auch über­for­dern und nerven. Und das Wich­tigste ist doch, dass ich jeden mit­nehme und mit posi­tiven Gedanken infi­ziere.

Mit anderen Worten: Sie haben sich auch von Ihrem Per­fek­tio­nismus ver­ab­schiedet.

Das habe ich durch viele Gespräche mit unserem Pres­se­spre­cher Chris­to­pher Lym­be­ro­poulos, mit Michael Meier und auch mit meiner Frau gelernt. Schon Allah hat gesagt: »Selbst in den feinsten Tep­pich ist absicht­lich ein Fehler ein­ge­woben, denn es gibt nichts Per­fektes auf dieser Welt«. Das habe ich nach und nach auch ein­ge­sehen.

Chris­toph Daum, auf wel­ches Bun­des­li­ga­spiel freuen Sie sich in der kom­menden Saison am meisten? Auf das Wie­der­sehen mit ihrem alten Kon­tra­henten Uli Hoeneß?

Ich freue mich auf das Spiel bei dem wir unseren 40. Punkt holen.

Und wann wird das sein?

Das weiß ich nicht. Ich bin kein Hell­seher, son­dern nur akri­bi­scher Arbeiter. Aber je früher, desto besser.

Jogi Löw hat vor der Euro 2008 gesagt, er würde zurück­treten, wenn Deutsch­land die Vor­runde nicht über­steht. Gibt es für Sie als FC-Trainer auch einen Worst Case, der Sie zum Rück­tritt zwingen würde?

Nein, denn ich bin ja nicht der Natio­nal­trainer.

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